Werner Bärtschi

Pianist and Composer

Switzerland

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Werner Bärtschi hört nicht auf, immer wieder nach Eigenart und Ästhetik jedes einzelnen Werks zu fragen. Gerade deshalb werden seine Interpretationen als besonders spontan, kommunikativ und spannungsvoll erlebt.

Der 1950 in Zürich geborene Musiker spielt Werke von der Spätrenaissance bis in die Gegenwart. Er hat bedeutende Uraufführungen (unter anderem von Cage, Klaus Huber, Killmayer, Riley, Schnebel und Vogel) gespielt. Schwerpunkte seines Repertoires liegen bei Bach, Mozart, Beethoven, Chopin und Liszt, doch engagiert er sich auch für Aussenseiter wie Carl Philipp Emanuel Bach, Carl Nielsen, Erik Satie, Charles Ives und Giacinto Scelsi. Konzerte auf allen Kontinenten, an Festivals wie Gstaad, Lucerne, Zürich, La Roque d‘Anthéron, Antalya und Salzburg, Rundfunkaufnahmen, Fernseh- und Kinofilmauftritte sowie zahlreiche CDs (mit einem „Grand Prix du disque“ der Académie de disque française) zeugen von seiner erfolgreichen pianistischen Aktivität. 1980 gründete er in Zürich die Konzertreihe «Rezital» und ist künstlerischer Leiter des Musikkollegiums Zürcher Oberland und der Schaffhauser Meisterkonzerte. Er hat immer wieder ausgewählte Studenten unterrichtet und ist Initiator und Leiter der Schaffhauser Meisterkurse.

Bärtschi schrieb mehr als vierzig Kompositionen verschiedenster Gattungen. Nach frühen Einflüssen von Cage und Schnebel, später von Scelsi und Wilhelm Killmayer befreite er sich in sehr persönlichen Experimenten aus den Traditionen der Avantgarde und liess zunehmend seine Erfahrungen als Interpret alter und neuer Musik einfliessen. Seine unmittelbar fassliche Musik klingt ganz eigenständig und erinnert kaum an die gewohnte Sprache zeitgenössischer Musik. Werner Bärtschi schöpft seine kreativen Interpretationen nicht zuletzt auch aus seinem kompositorischen Verständnis für Musik. Wer so wie er den Meistern der Vergangenheit als Kollege über die Schulter blicken kann, sieht tiefer in die reiche Vielschichtigkeit ihrer Werke hinein. Und Bärtschis Talent zur Kommunikation befähigt ihn, diese Einsichten überzeugend umzusetzen. Die Musik vergangener Epochen erklingt unter seinen Händen wie neu. ‚Da sind Kopf, Herz und Hand auf künstlerischer Hochebene aufs Glücklichste beisammen‘, urteilt die Presse.

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Interview

What does music mean to you personally?

Musik ist mein Lebensinhalt.

Do you agree that music is all about fantasy?

Warum nicht! Fantasie und Imaginationskraft inspirieren den Komponisten, sie sind das mächtigste Werkzeug des Interpreten und sind – am wichtigsten! – der Ort, wo die Musik beim Hörer schliesslich ankommt.

Doch das sind nur Worte! Man könnte ebenso gut sagen, es gehe in der Musik vor allem um Schönheit. Oder, noch elementarer: es gehe vor allem um das Verstreichen der Zeit; oder: es gehe vor allem um Intervalle und Rhythmen.

If you were not a professional musician, what would you have been?

Als Kind wollte ich auf den Mond fliegen, als Erster natürlich. Andere sind mir zuvorgekommen...

The classical music audience is getting old, are you worried about the future?

This has always been said and will always be said. Classical music seems to be attractiv for elderly people. But don’t forget that there will always be new elderly people.

What do you envision the role of music to be in the 21st century? Do you see that there is a transformation of this role?

I never was concerned about the role of music. Certainly it plays a role for you or for me, but it is not made for to play a role.

Do you think that the musician today needs to be more creative? What is the role of creativity in the musical process for you?

Es mag wohl emotionell und geistig unselbständige Musiker geben. Sie machen die Dinge so, wie sie es gelernt haben oder wie es ihnen zeitgemäss zu sein scheint. Dagegen kann man wenig tun. Und das ist natürlich nicht nur in der Musik so... Die guten Musiker sind gewiss kreativ genug und es ist mir aufgefallen, dass sie kaum je von solchen Dingen sprechen. Kreative Menschen reden nicht über Kreativität.

Do you think we as musicians can do something to attract the younger generation to music concerts? How would you do this?

Wir müssen stark und überzeugend sein. Ausserdem scheint mir, dass die Förderung des Laien-Musizierens wertvoll sei. Der Amateurpianist, das Liebhaber-Streichquartett, der Laienchor sind fruchtbare Böden für die Musik.

Tell us about your creative process. What is your favorite piece (written by you) and how did you start working on it?

Das kann ich nicht in kurzen Worten beantworten. Ich füge ganz unten ein (ziemlich altes) Vortragsmanuskript an. Es ist sprachlich nicht überall ausgeführt und nimmt besonderen Bezug auf einige Werke, die zufälligerweise damals gerade gespielt wurden, aber sie finden darin sicher gutes Material für ihr Porträt. Ausserdem könnten Sie sich folgende Links ansehen/anhören:

https://rezital.ch/ton/

https://www.srf.ch/sendungen/musik-unserer-zeit/suche-nach-unerhoertem-der-pianist-und-komponist-werner-baertschi

https://wernerbaertschi.ch/Berg-und-Geist_Werner-Baertschi.mp4

Von meinen neueren Stücken sind mir im Moment die erste, dritte und fünfte Bagatelle für Klavier und die «Fünf Arten, sich am eignen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen» für Klavier und Streichquartett am nächsten.

Can you give some advice for young people who want to discover classical music for themselves?

Hören! Hören! Hören! Folgt euren Vorlieben, aber bleibt neugierig für das, was ihr noch nicht kennt! Und: Aufnahmen sind hilfreich und wertvoll. Aber die intensivsten Erlebnisse habt ihr bei Konzertbesuchen.

Do you think about the audience when composing?

Ich such nach Schönheit und dichter Vielfalt, aber zugleich strebe ich auch nach Verständlichkeit. Insofern denke ich an das Publikum.

What projects are coming up? Do you experiment in your projects?

Ich schreibe an einem Duo für Violine und Klavier, das aus lauter abgebrochenen Geschichten bestehen soll. Das scheint mir ziemlich experimentell. Ausserdem ist ein Klavierkonzert in Arbeit.

Schwierige Liebe

Das Komponieren ist eine so persönliche Angelegenheit, dass sich darüber kaum etwas Allgemeines aussagen lässt. Jedenfalls gründet es in irgendeiner Weise stets in der Liebe zur Musik und diese Liebe ist geprägt von den individuellen Wunschvorstellungen des Liebenden. Bei der Liebe zwischen Menschen nennt man diese Wunschvorstellungen Projektionen, beim Drang, zu Komponieren, möchte ich es die Imagination musikalischer Schönheit nennen. Wir Komponisten buhlen alle vor der heiligen Cäcilia, der Herrin der Musik und der Musiker, wir schreiben Gedichte (sprich Werke) über sie und jeder hofft, in ihnen die wahre Natur seiner Angebeteten zu treffen. Denn die Musik ist eine schwierige Liebesherrin. Es ist nicht leicht, es ihr Recht zu machen. Wer es ihr Recht machen will, muss auf ihre leisesten Winke hören, muss ihr alle Wünsche an den Augen ablesen. Er wird selbst dort noch ihrem Wünschen nachzuspüren versuchen, wo es ihr selbst nicht mehr bewusst ist: der wahre Liebhaber kennt seine Geliebte besser als sie sich selbst! Und dabei wird er zur Windfahne, fremdbestimmt, abhängig, unselbständig. (Beispiele ausführen)

Ich muss hier eine Abschweifung über Windfahnen einfügen: Wer seine Fahne nach dem Wind hängt, gilt als charakterlos. Doch ich möchte die Windfahne gegen ihren schlechten Ruf verteidigen: Sie erfüllt ja ihre Aufgabe richtig. Sie soll uns den Wind zeigen und das tut sie ohne Fehl und Tadel, indem sie sich diesem vollständig hingibt und überlässt. So tut es der Komponist mit der Musik. Indem er zu erlauschen versucht, was die Klänge von ihm wollen, erfühlt er, woher der Wind weht, wohin die Musik will. Und dies ist seine eigentliche Aufgabe! In dieser radikalen Selbstaufgabe kann es ihm unter Umständen sogar gelingen, eine Musik finden, die für ihn selber ganz neu und unbekannt ist. Da pflegt man dann zu sagen, dass Künstler eben ihrer Zeit voraus seien – aber das ist natürlich nur eine Redensart.

Doch man kann die Situation der Selbstaufgabe ebensogut auch gerade umgekehrt anschauen: Vergleicht man nämlich die Werke verschiedener Komponisten, verschiedener Liebhaber der heiligen Cäcilia, so merkt man bald, dass jeder an ihr ganz besondere Wesenszüge erkennt und wichtig nimmt. Es mag immer die gleiche Cäcilia, die gleiche Musik sein, doch jeder liebt einen anderen Aspekt an ihr. Und so kann man denn geradesogut sagen, dass sie, die Musik, ihre Fahne nach dem Wind jedes einzelnen Komponisten hängt und in Wahrheit gar keine eigene Gestalt hat. Kurz und bündig: Diese heilige Cäcilia ist nichts als ein Phantom in den Köpfen und Herzen der Komponisten, die ihr dienen, ein Phantom, das mit jedem neuen musikalischen Werk stets auf‘s Neue erschaffen wird, erschaffen aus und durch die Phantasie und Liebe ihrer Diener, der Komponisten. (Beispiele ausführen)

Für mich zum Beispiel steht beim Komponieren ganz eindeutig das Intervall, also das zeitliche Nacheinander oder Miteinander zweier Töne, im Zentrum. Entsprechend ist meine Musik fast immer durch die Melodik geprägt. Harmonien sind oft ebenfalls als Kombination mehrerer Intervalle erfunden. Fast immer lege ich die Töne meiner Harmonien auch auseinander, das heisst ich entwickle aus dem Nacheinander von Harmonietönen meine Melodik. Umgekehrt füge ich auch mehrere Noten der Melodik zu Akkorden zusammen. Ich habe das beim Studium der Musik Anton Weberns gelernt.

Wenn das Intervall mein Ausgangspunkt ist, ist es nicht verwunderlich, dass ich die Tonauswahl für die eigentliche Schicksalsfrage des Komponierens halte. Die verbreitete Gewohnheit, die Tonauswahl einem organisierten Verfahren wie zum Beispiel einer Reihentechnik zu überlassen, kommt mir wie musikalischer Selbstmord vor. Man hat Debussy gefragt, wie er komponiere. Er soll geantwortet haben: Ich nehme alle Noten, die es gibt, lasse diejenigen weg, die ich nicht mag und verwende alle übrigen. Diese Antwort gefällt mir!

Nun: Welche Noten mag ich am liebsten: Es sind in der Regel die Noten, die genau neben den Tönen liegen, aus denen die traditionellen Harmonien gebildet werden. Nach und nach bin ich zur Einsicht gekommen, dass ich offenbar praktisch jede beliebige Klangfolge als eine tonale Klangfolge höre, angereichert mit Nebennoten und variiert durch dem Ersatz einzelner Töne durch in deren Nähe liegende andere. Man kann in der Regel von meinen Tonfolgen ohne viele Umstände eine vereinfachte Version herstellen, die vollständig tonal ist. Und ähnlich ergeht es mir auch im Bereich des Rhythmischen: Ich hake mit Vorliebe meine Töne in der Nähe metrischer Schwerpunkte fest. Meine Musik ist nämlich recht oft metrisch komponiert, also in regelmässigen, manchmal auch unregelmässigen Taktfolgen. Durch die vielen neben das Metrum fallenden Noten erkennt man beim Hören das Metrum nicht immer sofort, aber es ist ganz deutlich als Ordnungsfaktor wirksam. Selbst die Periodik, also die Zusammenfassung mehrerer Takte zu Taktgruppen ist bei mir oft ganz regelmässig.

Vergegenwärtigen wir uns diese beiden letzten Vorlieben, das Setzen der Tonhöhen in die Umgebung tonaler Angelpunkte und das Setzen rhythmischer Werte in die Umgebung metrischer Schwerpunkte, so kann man zusammenfassend sagen, dass ich offensichtlich den Bezug zu und zugleich die Absetzung von tradierten Gestaltungsmitteln suche. Mit anderen Worten: Ich benütze Elemente einer wohlbekannten Musiksprache und erweitere sie, indem ich mit gezielten Abweichungen davon spiele. Das führt dazu, dass meine Musik in der Regel schon beim ersten Hören relativ gut verständlich ist. Deshalb werde ich oft als ein relativ traditionsverbundener Komponist eingestuft.

Ich muss gestehen, dass mich das Finden der richtigen Töne und Rhythmen oft ausserordentlich viel Zeit kostet. Es ist wirklich eine schwierige Liebe! Leute, die mich kennen, schätzen mich in der Regel als entschlossenen und zielstrebigen Menschen ein. Wie würden sie sich wundern, wenn sie mir beim Komponieren zuschauen könnten! Eine lähmende Unentschlossenheit hält mich dabei gefangen. Stundenlang überlege und suche ich, ohne auch nur um das geringste voranzukommen. Immer wieder gebe ich die Arbeit an einem Werk auf, hole es nach Wochen oder Monaten, oft aber auch erst nach Jahren wieder hervor. Am kommenden Freitag 9. April können sie in der Tonhalle ein letztes Jahr vollendetes Werk für drei Chöre und Orchester von mir hören, an dem ich über zwanzig Jahre gearbeitet habe (ich übertreibe nicht!). Obwohl mir diese Langsamkeit natürlich unbequem ist, halte ich sie doch für unvermeidlich. Für mich jedenfalls ist sie offenbar unvermeidlich, denn sie ist offenbar ein Teil meiner persönlichen und besonderen Liebe zur Musik. In diesen langen Phasen des Wartens verhalte ich mich eben genau wie die Windfahne. Ich versuche herauszufinden, was die Musik von mir will.

Recht verschiedenartig ist in meinen Stücken die formale Anlage. Als Pianist ständig im Kontakt mit Meisterwerken verschiedenster Epochen der Vergangenheit, hat es mich zweifellos geprägt, immer wieder zu erleben, wie verschieden die Zeit, in der ein Musikstück erklingt, geformt werden kann.

Ich habe mit verschiedensten Arbeitstechniken experimentiert. Ich habe Werke geschrieben, indem ich nacheinander mehrere Schichten oder Stimmen komponierte und übereinander fügte. Wenn dabei jede Schicht einer eigenen Logik folgt, verstehe ich das als echte Polyphonie. (Ich unterscheide die Polyphonie vom Kontrapunkt, von dem ich nachher noch ausführlich sprechen werde.) Wenn diese Schichten ausserdem von ganz verschiedenem Charakter sind, entsteht durch ihren Zusammenprall unter Umständen eine ganz besonderer Ausdruck oder sogar eine regelrechte Aussage, zum Beispiel, wenn ein Marschrhythmus und ein Kinderliedchen zusammentreffen.

Ich habe Stücke geschrieben, in denen ich in jedem Moment jede Note und jeden Rhythmus ohne jeden vorverfassten Plan rein intuitiv zusamensuchte. Für andere Werke habe ich hingegen ausgeklügelte harmonische Systeme entwickelt. Einmal habe ich ein Stück ausschliesslich aus Floskeln zusammengesetzt, die mir auf Reisen, in Zügen, Flugzeugen oder Restaurants einfielen.

Einige meiner Werke haben einen rhapsodischen, erzählenden Formverlauf. Sie gehen einen Weg von Station zu Station, von Moment zu Moment. In anderen hingegen habe ich als erstes genaue Zeitstrukturen, einen genauen Formplan erstellt, sodass ich vor Beginn der Niederschrift genau wusste, wieviele Minuten und Sekunden das Stück dauern wird.

Es hat mich beschäftigt, wie Struktur und Ausdruck oder Poesie zusammenhängen. Ich habe ein Stück geschrieben, in dem ein einfacher Auftaktgestus zu einem lange ausklingenen Akzent mit jedesmal verdoppelter Länge wiederkehrt: 1‘‘, 2‘‘, 4‘‘, 8‘‘, 16‘‘ usw., zuletzt etwa 5‘. Das Stück heisst «Vergeblichkeit», weil das Ziel, das am Anfang überdeutlich klar erkennbar war, durch die Ausdehnung und damit doch eigentlich Verbesserung seiner Vorbereitung in‘s Unerreichbare verschwindet. Eine Lebenserfahrung, die jeder machen kann - «Vergeblichkeit».

Auch das Gegenteil habe ich versucht, nämlich die Beschleunigung einer wiederkehrenden Struktur auf jedesmal die doppelte Geschwindigkeit.

Hören sie sich dieses kurze Werk an. Es heisst «Wiederkehrende Signale» und ist für Klavier und Streichquartett geschrieben. Sie hören darin gleichzeitig ein Beispiel für die Polyphonie zweier von einander weitestgehend unabhängiger Stimmen. Das Quartett spielt hier eine Musik, in der die rhythmische Struktur eines Sonetts: vier Zeilen - eine Leerzeile - vier Zeilen - eine Leerzeile - drei Zeilen - eine Leerzeile - drei Zeilen (in der Musik sind das Takte: vier Takte - ein Leertakt - vier Takte - ein Leertakt - drei Takte - ein Leertakt) viermal wiederholt wird in jeweils verdoppeltem Tempo. Das Klavier spielt davon ganz unabhängig eine freie Folge signalhafter Klänge, die dem Stücke den Titel gegeben haben: «Wiederkehrende Signale». Ganz am Schluss übernimmt das Klavier die Rolle der Streicher, während diese sich in einen ostinaten Rhythmus verbeissen.

Ich möchte jetzt abschliessend auf die «Toccata a due» für Flöte und Klavier zu sprechen kommen, die sie heute Abend hören können. Diese Toccata ist ein virtuoses Spielstück, ein Stück für‘s Konzertpodium. Es ist eines der wenigen Werke, die ich in relativ kurzer Zeit, in etwa zwei Monaten komponiert habe. Das war im Jahre 1987. Ich hätte vielleicht nicht ausgerechnet dieses Stück als Beispiel gewählt, um meine Arbeitsweise zu erläutern, wenn heute nicht gerade die Gelegenheit für eine Aufführung gegeben war. Ausserdem sage ich mir, dass sich gerade im Studium des vermeintlich untypischen eine Menge charakteristischer Eigenarten meines Komponierens zeigen lassen werden. Das Komponieren dieses Stücks war für mich eine Art von Spiel - und entsprechend spielfreudig und verspielt klingt auch das Ergebnis.

Die Toccata ist eines jener Stücke, für die ich im Voraus Pläne machte und dann erst die Stellen schrieb. Ich begann mit einem Formplan und entwarf auch einen groben Zeitplan für das Stück. Dazu muss ich sagen, was mich an der Form der Toccata interessiert: Die Toccata war in der europäischen Musikgeschichte die erste rein instrumentale, also nicht von einem Text abhängige Form, die sich aus kontrastierenden, in verschiedener Art komponierten Teilen zusammensetzte. In den ersten Toccaten aus der Spätrenaissance finden wir einen Wechsel arioser, rezitativischer und kontrapunktisch gearbeiteter Teile, der eine dramaturgisch gestaltete Gesamtform ergibt. Noch 150 Jahre später finden wir in den Toccaten Johann Sebastian Bachs im Prinzip die gleichen Elemente wieder. Die Form der Toccata interessiert mich, weil sie sich im Verlaufe der Musikgeschichte mit zahlreichen Inhalten angereichert hat und dennoch viel Gestaltungsfreiheit zulässt.

Der erste Teil und der zweite Teil sind miteinander verklammert durch eine sehr lange, einen einzigen grossen Bogen bildende Melodie der Flöte. Ich habe dafür im Voraus eine Materialdisposition entworfen, das heisst, ich schrieb mir für die verschiedenen Entwicklungsabschnitte dieser Melodie einen charakteristischen Tonvorrat auf.